Das HORTUS Allschwil. Bauherr: SENN, St. Gallen / Architekt: Herzog & de Meuron, Basel / Ingenieur: ZPF Ingenieure, Basel © Herzog & de Meuron
10 février 2023
Antje Waterholter | D'un point vue personnel
Metamorphose der Arbeitswelt – Eine vertiefte Betrachtung sich wandelnder Arbeitsorte
Büroumgebungen waren und sind aufgrund von Megatrends und Krisen weitreichenden Veränderungen unterworfen. Agile und adaptive Raumstrukturen werden zunehmend wichtiger.
Nicht zuletzt stellt die Corona-Pandemie die gesamte Arbeitswelt vor enorme Herausforderungen. Fragestellungen, welche in diesem Zusammenhang insbesondere die Immobilienwirtschaft beschäftigen, sind: Wieviel nutzereigene Bürofläche (Owner Space) wird zukünftig noch beansprucht und wie weit können sich firmeninterne Arbeitsbereiche öffnen sowie Flächen auch „öffentlich“ miteinander geteilt werden?
Mit der Research Studie WorkLab 4.0 – Visionäre Arbeitsorte für ICT Unternehmen (Waterholter & Guhl, 2021) wurde am Beispiel des geplanten Bürogebäudes HORTUS, welches auf dem BaseLink Areal in Allschwil bei Basel entsteht und als „Leuchtturmprojekt der Nachhaltigkeit“ gilt, konkret diesen Fragestellungen nachgegangen und aus den gewonnenen Erkenntnissen ein qualitatives Raumprogramm sowie ein psychologisches Betriebskonzept entwickelt.
Diese architekturpsychologische Studie zur Erforschung und Entwicklung zukunftsweisender nutzerspezifischer Arbeitsumwelten wurde im Auftrag der SENN Development AG von der Kooperationsgemeinschaft ANïMA Architektur & Psychologie Antje Waterholter – Martina Guhl im Jahr 2021 durchgeführt.
Vorherrschende hierarchische Strukturen, real gelebte Werte und Prinzipien sind ein wesentlicher Einflussfaktor auf den Umgang mit Veränderungen. So sind konservativ aufgestellte Unternehmen in ihrer räumlichen Flexibilität begrenzter gegenüber modernen Organisationsformen mit flachen Hierarchien oder denjenigen Systemen, die soziokratisch organisiert sind.
Wechselseitige Abhängigkeiten von Kultur zu Raum zeigt das Liniendiagramm der Interdependenzen @ Waterholter & Guhl, 2021
Über vergleichende Raumszenarien – vor, während und nach der Pandemie – wird deutlich, dass Arbeitswelten, denen ein starres Flächen-Miet-Modell zu Grunde liegt, sich nur sehr begrenzt an Veränderungen durch den technologischen wie gesellschaftlichen Wandel und damit verbundenen Herausforderungen anpassen können.
Vor der Pandemie: Nutzung und Verteilung von Büroflächen in Abhängigkeit unterschiedlicher hierarchischer Strukturen. Nur zu einem geringen Anteil (10-20%) fand die Tätigkeit ausserhalb des Büros statt. Das System ist geschlossen, unflexibel und inaktiv @ Waterholter & Guhl, 2021
Während des Lockdowns haben verordnete Regeln dazu geführt, dass die Mitarbeitenden an andere Arbeitsorte, beispielsweise ins Home-Office ausweichen mussten und fest vermietete, vertraglich gebundene Flächen im Main-Office grösstenteils leer standen.
Während der Pandemie: Nutzung und Verteilung von Büroflächen in Abhängigkeit verordneter Regeln. Es wurde vorwiegend an dritten Orten gearbeitet (rd. 80%). Das System öffnet sich zwangsweise @ Waterholter & Guhl, 2021
Nach dem Lockdown wurden nicht selbstverständlich alle Arbeitsplätze im Main-Office wieder besetzt. Aktuell zeigen Umfrageergebnisse eine hohe Nutzung von Arbeitsplätzen im Home-Office. Weltweit ist die Tendenz steigend: Die überwiegende Zahl Beschäftigter schätzt die hinzugewonnene Autonomie sowie Flexibilität hinsichtlich der Wahl ihres Arbeitsortes.
Nach der Pandemie: Konzentriertes Arbeiten findet nicht mehr ausschliesslich im Main-Office statt. Büroumgebungen entwickeln sich in zunehmendem Masse von Arbeits- zu Begegnungsorten mit variablen Flächenmodulen, die eine hohe Anpassungsfähigkeit von Owner Spaces und öffentlicher Mantelnutzung, den Active Flexible Shared Spaces zulassen @ Waterholter & Guhl, 2021
Das Büro von morgen ist die Transformation zu einem offenen, flexiblen System, das flächenmässig nicht vorbestimmt ist, sondern durch Bedürfnisse und Ansprüche der Menschen determiniert wird. Damit einher gehen neue Aufgabenbereiche, Arbeitskulturen und neue Rollen. Zukünftig braucht es Kümmerer, die ein derartiges Modell aktivieren und aufrechterhalten. Weiterhin bedingt die Auflösung starrer Flächen neue Vermietungskonzepte. Ein solches Mietmodell, in dem der Mensch Ausgangspunkt ökonomischer Berechnungen ist, wurde im Rahmen des Auftrages ebenfalls entwickelt.
Mit der Studie können wir aufzeigen, dass diejenigen Büroumgebungen eine Zukunft haben, die sich öffnen und zu Orten des Miteinanders, der Teilhabe und der Begegnung werden. Innovative Arbeitswelten sind Connecting Places: Arbeitsorte, die Vernetzung, Interaktion und Identifikation unterstützen und sich aufgrund ihrer hohen Flexibilität nicht nur heute sondern auch morgen an die vielfältigen Veränderungen und deren Auswirkungen anpassen können.
Antje Waterholter
Antje Waterholter *1964, ist langjährig als Architekturpsychologin tätig. Mit ihrem Büro für Soziale Architektur & Systemische Beratung entwickelt sie partizipativ und nutzerorientiert Arbeitsumgebungen sowie Lern- und Therapieräume. Auch berät und begleitet sie alle Beteiligten in Prozessen räumlicher Veränderungen, beschäftigt sich wissenschaftlich u.a. mit Biophilic Design, positiven Emotionen und dem Wohlbefinden in organisch gestalteten Räumen.
Foto: @ C. Waterholter