Areal Zwicky Süd, Dübendorf © SENN - Foto: Andrea Helbling, Zürich / Courtesy of Schneider Studer Primas GmbH
15 juillet 2022
Stiftung Baukultur Schweiz | D'un point vue personnel
Quartierbesichtigung in Zwicky Süd, Dübendorf - Interview mit Lukas Bühlmann
Zusammen mit der Hochschule Luzern lud die Stiftung Baukultur Schweiz ins Quartier Zwicky-Süd zu einer Diskussion der besonderen Art ein.
Unter dem Titel «Baukultur konkret» wurde nach den Zusammenhängen zwischen gebautem Lebensraum und Planungsprozessen gefragt und darüber diskutiert, an welchen Kriterien sich gelebte Baukultur im Alltag festmachen lässt. In drei Begehungen vor Ort – den «Walking Think Tanks» – erläuterten die Bewohnerinnen ihre Sicht und Wahrnehmung auf das Areal aus dem alltagspraktischen Gebrauch heraus. Anschliessend diskutierten Fachexpertinnen und -experten aus Architektur, Planung, Politik und Immobilienwirtschaft mit den Bewohnenden auf Augenhöhe, worauf bei der Entwicklung von Quartieren in baukultureller Hinsicht künftig besonders zu achten sei. Wir fragten nach bei Lukas Bühlmann, Vizepräsident der Stiftung Baukultur Schweiz, was aus seiner Sicht vom Zwicky-Areal für die Entwicklung künftiger Quartiere wichtig ist.
JK: Die erste Quartierbesichtigung der Stiftung Baukultur Schweiz Schweiz in Zusammenarbeit mit der HSLU fand am 2. Juli auf dem Zwicky-Areal statt. Wie war es?
LB: Wir sind sehr zufrieden mit dieser Pilotveranstaltung und haben uns gefreut, dass an diesem sonnigen Samstagnachmittag, vor den Sommerferien, wo erfahrungsgemäss viele andere Veranstaltungen stattfinden, rund 35 Personen nach Wallisellen/Dübendorf gekommen sind. Wir haben uns vor allem auf das Areal Zwicky-Süd fokussiert, wo Schneider Studer Primas Architekten flexibel nutzbare Wohn-, Atelier- und Gewerbeflächen, darunter 280 Wohnungen, vom 1-Zimmer-Studio bis zur 13-Zimmer-Wohngemeinschaft, für die Genossenschaft Kraftwerk 1, Pensimo und andere Eigentümerschaften geplant haben. Das war sehr interessant, doch der Fokus lag vielleicht zu stark auf der Genossenschaft. Diese ist doch eine sehr spezielle Bauträgerschaft und unterscheidet sich von anderen Investoren oder der öffentlichen Hand. Unser Learning für die nächste Quartierbesichtigung lautet also: Es müssen auch andere Bauträger, beispielsweise institutionelle Anleger, in die Untersuchungen und Besichtigungen einbezogen werden.
Welche Rolle hatte die Hochschule Luzern?
Das Projektteam der Hochschule, namentlich der Sozialwissenschaftler Christopher Young und die Architekten Richard Zemp und Prof. Angelika Juppien, haben das Veranstaltungsformat in enger Koordination mit der Stiftung entwickelt und umgesetzt. Ziel war, die Debatte über Baukultur vor Ort – also mitten im Quartier – anzuregen und damit die Gestaltung, den Gebrauch und die Wirkung konkreter Alltagsräume aus der Perspektive der Bewohnenden zu thematisieren. Es geht also darum, eine Brücke zwischen den Perspektiven der Fachleute und derjenigen der Nutzenden der Räume zu schlagen.
Um sowohl eine gute Wissensgrundlage für die Veranstaltung als auch die geplante wissenschaftliche Aufbereitung zu schaffen, wurden sowohl Fachleute mit Bezug zum Areal als auch Bewohnende interviewt, mit einem jeweiligen Fokus auf Prozesse und Alltagsqualitäten. Der Einbezug von Bewohnerinnen und Bewohnern in verschiedener Weise war zentral.
Wer ist denn die Zielgruppe dieser Veranstaltungsreihe, die hier ihren Anfang nahm?
Zunächst lag der Fokus auf dem Stiftungsrat und dem Beirat, doch dann gingen unsere Einladungen an eine sehr durchmischte Zielgruppe: Personen aus den Bereichen Immobilien, Politik und Hochschule wurden angeschrieben, aber auch Planerinnen und Bewohnende wurden erreicht. Am Ende kam ein guter Mix zustande, weshalb der Entscheid, die Einladungen breiter zu streuen, eine gute Idee war. Die Breite der beruflichen Hintergründe hat viel zum Gelingen und zu spannenden Diskussionen beigetragen.
Was ist besonders in Erinnerung geblieben?
Es herrschte insgesamt eine sehr gute Stimmung und das Interesse war gross. Die Leute haben sich eingebracht, und relativ viele blieben zum Apéro, um weiter zu diskutieren – und das an einem schönen Sommerabend!
Apéro © Stiftung Baukultur Schweiz
Was ist das Besondere, in baukultureller Hinsicht, am Quartier Zwicky-Süd?
Es handelt sich um eine ganz schwierige Ausgangslage aufgrund der Verkehrssituation mit Strassen-, Eisenbahn- und dem Fluglärm; stärker lärmbelastet kann ein Quartier kaum sein! Für viele Bewohnende ist auch tatsächlich der Lärm das grösste Minus.
Städtebaulich haben die Architekten Schneider Studer Primas einen ruhigen Hof geschaffen, um die lärmschutzrechtlichen Grenzwerte einzuhalten. Doch das wiederum schränkt die architektonische Gestaltung ein. Und die Fassade in Richtung der grossen Strasse bleibt dem Lärm ausgesetzt.
Der zweite Knackpunkt ist die fehlende Begrünung. Wegen der Tiefgarage gibt es quasi keine Bäume im Innenhof, und die Kletterpflanzen an den Fassaden waren zwar eine gute Absicht, ihnen wurde aber zu wenig Beachtung geschenkt. Nachträglich hat man ihnen mehr Platz gegeben und dort, wo Bewohnende zu ihnen schauen, beginnt es zu grünen. Insgesamt aber kann man sagen, dass es wenig Grünflächen gibt (ausser am Rand beim Chriesbach). Die ungenügende Begrünung ist ein Problem; mit dem Klimawandel und der grossen Sommerhitze wird es sich noch verschärfen.
Aber: Das Quartier ist auch nach Beendigung der Bauarbeiten und dem Einzug der Bewohnenden in Bewegung. Dazu tragen der flexibel gestaltete Gestaltungsplan und dessen weitsichtige Umsetzung bei. Der Gestaltungsplan lässt viele Freiheiten; so wurden beispielsweise keine genauen Wohn- und Gewerbeanteile definiert. Belebte, öffentliche Erdgeschossnutzungen wünschen wir uns zwar alle. Die Nachfrage nach solchen Flächen hält sich jedoch in Grenzen. Flexible Vorgaben können diesbezüglich helfen. Aus diesem Prozess kann man lernen, inwiefern eine gewisse Flexibilität in Bezug auf die Nutzung ermöglich werden kann.
Da kommt sicherlich auch die Bauherrrschaft ins Spiel, die diesen Prozess erst ermöglicht hat.
Ja. Ein wichtiges Anliegen der Erbengemeinschaft war, dass man dem Prinzip der gemischten Nutzung treu bleibt und wichtige historische Gebäude als Zeugen ihrer Zeit integriert werden. Dazu gehören Fabrikbauten, Kosthäuser, Villa und Gutsbetrieb. Eine solche Grundhaltung seitens der Eigentümerschaft ist nicht selbstverständlich. Frau Zwicky, die auch an der Quartiersbesichtigung teilnahm, gebührt viel Anerkennung. Ihr Verdienst ist es, dass sie diesen Prozess über Jahre begleitete, im Wissen, dass sie auf anderem Weg eine viel grössere Rendite hätte generieren können. Auf der anderen Seite vernachlässigen die Städte Dübendorf und Wallisellen das Gebiet geradezu etwas. Man hat das Gefühl, das Grenzgebiet werde zwischen den beiden Städten hin- und hergeschoben, was sich unter anderem im ungenügenden Freiraum niederschlägt. So gibt es kaum Spielplätze und Treffpunkte für Jugendliche – und von dem von Frau Zwicky angebotenen Land für den Bau einer Schule hat die Stadt Dübendorf keinen Gebrauch gemacht, mit der Folge, dass die Kinder heute einen relativ weiten und nicht ungefährlichen Schulweg haben.
Sind es Kostenüberlegungen, welche die beiden Städte zur Zurückhaltung anhielt?
Verdichtung kostet. Wir schaffen die angestrebte Innenentwicklung jedoch nur, wenn wir in die Qualität der Überbauungen investieren. Ansonsten trägt die Bevölkerung die Verdichtung nicht mehr mit. Der Bundesgesetzgeber hat mit dem Mehrwertausgleich ein Instrument geschaffen, um eine hochwertige Innenentwicklung zu finanzieren. Mit seiner offenen und flexiblen Regelung lässt der Kanton Zürich für den Ausgleich auch vertragliche Vereinbarungen mit den Grundeigentümern zu. Sie erlauben es, die Gelder sinnvoll vor Ort einzusetzen. Diese Chance sollte von den Beteiligten vermehrt genutzt werden.
Was lernen wir also von diesen verpassten Chancen und dem doch sehr eigenen Zwicky-Areal für die Baukultur im Allgemeinen?
Man hat dem Freiraum nicht genügend Beachtung geschenkt und die Bedürfnisse im Vorfeld zu wenig abgeklärt. Auch der hohe Versiegelungsanteil ist angesichts der Klimaerhitzung eine verpasste Chance. Beides zusammen verringert die Lebensqualität des Quartiers – was ja auch wiederholt von den Bewohnenden bemängelt wurde. Insgesamt aber zeigt das Zwickyareal, dass man auch in einer schwierigen Umgebung lebenswerten und qualitativ hochstehenden Lebensraum mit hoher Baukultur schaffen kann. Für die dafür notwendige integrale Planung bedarf es weitsichtige Eigentümerinnen und Investoren, innovative Entwickler und Architektinnen, flexible Planungsinstrumente und eine öffentliche Hand, die sich ihrer Verantwortung bewusst ist. Letzterer liess im vorliegenden Fall etwas zu wünschen übrig. ––
Interviewerin: Jenny Keller, Stiftung Baukultur Schweiz
Stiftung Baukultur Schweiz
Die Stiftung Baukultur Schweiz ist eine nationale, neutrale und politisch unabhängige Stiftung. Im Frühjahr 2020 gegründet, bringt sie Akteure zusammen, schafft Plattformen, initiiert Prozesse und macht sich stark für jene, welche die Grundlagen der Baukultur inhaltlich ausarbeiten oder diese in der Praxis umsetzen.